Die gerettete Generation
Von Ronald Reng, 14.06.09, 21:46h
Für die deutsche U-21-Nationalmannschaft startet am Montag die Mission Europameisterschaft. Das Team von Trainer Horst Hrubesch rechnet sich gute Titelchancen aus und hofft auf einen Sieg im Auftaktspiel gegen Spanien.
GÖTEBORG - Für einen Experten wie Junioren-Bundestrainer Horst Hrubesch bietet das weite Land um Göteborg alles: Zander, Hecht, Forelle - und die Binnenlachssaison ist im vollen Gange. Die Stimme von Hrubesch wird auch schlagartig weich, als das Gespräch vom Fußball zu den Fischen im Västra Götaland wechselt; „aber, ach, die Angel ist schon seit Jahren ganz weit weg von mir“, sagt Hrubesch, Co-Autor des 1980 erschienen Bestsellers „Dorschangeln vom Boot und an den Küsten“. Man habe als Trainer doch so wenig Zeit.
Er sitzt im Hotel im Städtchen Lerum nahe Göteborg, ohne Angel. Die Begeisterung klingt verblüffend ähnlich, egal, ob die Fachleute über die südwestschwedischen Gewässer reden („absoluter Geheimtipp“, „einmalige Möglichkeiten“) oder Hrubesch seine Auswahl beschreibt, die heute in Göteborg gegen Spanien (20.45 Uhr, live im ZDF) die U-21-Europameisterschaft beginnt. „Ich finde schon, dass meine Spieler ruhig vom Titelgewinn reden können“, sagt der 58-jährige Hrubesch, „wir können hier jedem Gegner in die Augen schauen.“ Spanien mit Barcelonas Bojan Krkic und vor allem Serbien mit Zoran Tosic (Manchester United) und Gojko Kacar (Hertha BSC) sind die Favoriten, zu denen ansonsten alle aufblicken.
Noch nie gewann eine deutsche Elf die EM dieser Altersstufe. Doch nachdem die Deutschen jüngst sowohl bei der EM der U 17 wie der U 19 triumphierten, soll die U 21 in Schweden ein bislang nur geflüstertes Gefühl bestätigen: Die Deutschen, bis Ende der Neunziger in der Jugendarbeit heillos verfangen in veralteten Ideen und Selbstgefälligkeit, gehören nach einem Kraftakt von Bundesligaklubs und DFB heute zu den fruchtbarsten Ausbildern. „Da geht was voran, da ist sehr viel Schwung drin“, beobachtet von außen der neue Technische Direktor des Schweizer Verbandes, der ehemalige Bochumer Bundesligaprofi Peter Knäbel. In manchem Bereich wie im Athletiktraining der Jungen „setzen die Deutschen sogar einen richtigen Trend“, sagt Knäbel: „Und wenn ich daran denke, wie lange Deutschland brauchte, um sich vom Libero loszusagen, ging dieser Wandel doch ziemlich schnell.“
Hrubeschs Kader enthält so viele ansehnliche Talente wie schon lange keine deutsche Juniorenelf mehr, darunter in Manuel Neuer, Andreas Beck, Gonzalo Castro, Mesut Özil und Marko Marin fünf erprobte sowie in Kapitän Sami Khedira einen baldigen A-Nationalspieler. Doch ist es weniger eine einzigartige als die erste normale Generation: Als das deutsche Jugendtraining mit Vehemenz entstaubt wurde, waren sie 12, 13 Jahre alt. Die Spieler dieser U 21 (Stichtag: 1. 1. 86) sind die ersten, die von der Erneuerung voll profitierten. Sie sind die gerettete Generation. Die Jahrgänge nach ihnen werden ähnliche Begabungen hervorbringen.
Aber auch der tollste Jahrgang hat seine Macken, wie Hrubesch gerade erfährt: Klassespieler für das zentrale Mittelfeld hat er zum Verschenken viele - aber keinen einzigen auffälligen Mittelstürmer. „Ich hätte doch auch gerne einen Mario Gomez, aber sagen Sie mir einen! Na los, geben Sie mir einen Stürmer, der danach schreit, dabei zu sein!“, sagt Hrubesch, ein klein wenig erregt. Er hatte den sachlichen Hinweis, da werde er also zwangsläufig ein Spielsystem mit nur einem Angreifer wählen, offenbar als Kritik missverstanden, er lasse defensiv spielen. So ist in dieser Elf voller Talente ein gewöhnlicher Zweitliga-Spieler der seltenste Schatz: Sandro Wanger vom MSV Duisburg, 1,94 Meter groß, ist der Einzige, der einem klassischen Mittelstürmer nahekommt. „Ich hoffe, er steht das auf diesem Niveau“, sagt Hrubesch.
Vor 30 Jahren war er selbst ein Mittelstürmer wie gemeißelt, bei der EM 1980 erzielte er beide Tore zum 2:1-Finalsieg über Belgien. Die Junioren-EM in Südwestschweden bringt ihn zu einigen seiner loyalsten Fans zurück. „Das war ja ein Volltreffer“, sein Buch, damals 1980, sagt Hrubesch. Die schwedische Auflage von „Dorschangeln vom Boot und an den Küsten“ war sofort restlos ausverkauft.
Scheitern unmöglich
Von Frank Nägele, 14.06.09, 21:46h
Nach den EM-Titeln der deutschen U 19 und U 17 startet nun die U 21 mit der Mission Titelgewinn. Zehn Jahre nach dem Start des revolutionären Nachwuchskonzeptes des DFB wäre das ein Beweis, alles richtig gemacht zu haben.
Früher war der Auftrag an alle Nachwuchstrainer des deutschen Fußballs schlicht: Bringt gute Spieler nach oben, dann habt ihr alles richtig gemacht! Der Gewinn internationaler Meisterschaften galt nicht als Ausbildungsziel. Das war Sache der Spanier, Portugiesen, Italiener und Südamerikaner. Im Endspiel von Europa- und Weltmeisterschaften der Profis stand dann sowieso wieder Deutschland und nervte die ganze Welt mit seiner Unbeugsamkeit. Doch die Dinge haben sich geändert. Inzwischen gewinnt Spanien die richtigen Titel - und Deutschland will U-21-Europameister werden. Mit allen Mitteln. An dem heute beginnenden Turnier in Schweden soll sich das Siegergen einer ganzen Generation erweisen und die Tauglichkeit des vor gut einem Jahrzehnt revolutionierten Nachwuchskonzeptes. Matthias Sammer, der Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes, will das so. Er mag nicht nur Fußball lehren, sondern auch das Siegen. Die EM-Titel der deutschen U 19 und U 17 scheinen zu belegen, dass so etwas möglich ist.
Deshalb wurde in dieses Team der U 21 alles hineingepackt, was der deutsche Fußball an Talent zur Verfügung hat: Neuer, Khedira, Özil, Marin, Hummels, Höwedes. Möglich, dass am Ende des Projekts ein Titel steht. Unmöglich aber ist ein generelles Scheitern dieser Generation. Dazu hat sie dem deutschen Fußball und seinen Profi-Vereinen schon zu viel gegeben.